Leben heisst sich verändern – ein Augenschein beim jungen Picasso
Am 22. März wagte eine grosse Schar aus unserer Kirchgemeinde den Gang nach Riehen, um sich intensiv mit dem jungen Picasso auseinanderzusetzen. „Die blaue und die rosa Periode“ – was soll das? Ich gebe zu, ich bin nicht gerade ein Kunstkenner, kenne nur die berühmten, abstrakten Werke des reifen Picasso. Wir buchten 2 Führungen; und eigentlich wollten noch mehr als 40 Personen an diesem kulturellen Highlight dabei sein…
Also liess ich mich darauf ein und freute mich auf die detaillierten Ausführungen der beiden Führerinnen. Und – es war schon erstaunlich, was wir da zu sehen bekamen. Wir schreiben die Jahre 1901 bis 1907. Nur sieben Jahre. Wir betrachten das erste, das älteste Bild des jungen Picasso in dieser Ausstellung, der gerade mal 20 Jahre alt geworden ist: „Ich, Picasso“: Ein expressiv wirkendes, mit dicken, groben Pinselstrichen angefertigtes Werk, selbstbewusst, farbenfroh, extrovertiert und ausdrucksstark. ‚Hier bin ich, Pablo Picasso, und ich bin nicht irgendwer‘.
Im nächsten Raum erschrecken wir. Die Farbenvielfalt ist weg. Die Gestalten wirken tranig, verstört, in sich gekehrt. Es scheint ihnen nicht gut zu gehen. Eine Art Depression? Oder malt Picasso diese Bilder als Gesellschaftskritik? Weshalb die gekrümmten Haltungen, weshalb die ausgesprochenen Färbungen in Blau? Öde macht sich breit, eine Art Langweile, Ausdruckslosigkeit, die durch diese Eintönigkeit auch wieder bewegend ist. Picasso macht sich Gedanken zum Leben. Dieses sieht in dieser Phase nicht sehr vielversprechend aus. Auf einem riesigen Bild kommen verschieden Stationen desselben Lebens zum Ausdruck. Natürlich in blau.
Viele Menschen sind verstört, auf irgendeine Art behindert und im eigentlichen Sinn des Wortes nackt. Wo bleibt die Lebensfülle, wo die Lebenslust?
„Die Elende in hockender Stellung“ wird bereits 1902 gemalt. Ich frage mich: Was ist in diesem einen Jahr mit Pablo Picasso passiert? Ist es der Tod seines engen Freundes Carlos Casagemas? Sind es andere persönliche Erlebnisse in Paris? Die Menschen auf den Bildern schauen den Betrachter nicht an, die Augen sind geschlossen, andere Randgestalten gar blind. Die Gliedmassen dünn, viel zu lang und abgemagert. Die diversen Blautöne machen melancholisch. Ich merke: es tut mir nicht gut, allzu lange in diesem ‚blauen Raum‘ zu verharren.
Ich schreite weiter und es kommt ein bisschen Farbe ins Spiel. Es ist rosa. Noch nicht einmal zwei Jahre später ist diese blaue Phase auch schon wieder vorbei. Neue Charaktere (Harlekins) erscheinen, und das zarte Rosa lässt auch erahnen, dass Picasso das Leben durchaus zu geniessen wusste.
Das Blau hallt nach, doch langsam, aber sicher übernehmen zartrosa Farben das Zepter. Noch sind die Gestalten deutlich zu erkennen, und die (eher am Rand stehenden) Gestalten schauen den Betrachter wieder vermehrt an.
Was will Picasso mitteilen? Worauf will er hinweisen? Sind es seine Zeitgenossen, sind es Freunde? Hat er diese Menschen angetroffen? Wo hat er sie angetroffen?
Mit der Zeit beginnt er zu verdichten. Worauf kann er verzichten? Was ist die Essenz der Bilder? Was ist wirklich wichtig auf einem Bild? Behutsam entfernt er sich von der realistischen Malerei. Ohne auf das Wesentliche zu verzichten.
Frauenbüste -1907. Das finde ich jetzt wirklich beeindruckend. Nur sechs, sieben Jahre, nachdem er so expressiv, grobschlächtig anders gemalt hat, kommen solche Portraits zum Vorschein. Was er für eine Wandlung durchgemacht hat! Man kann es kaum fassen. Und ich beginne mich zu hintersinnen. Wir laufen in unseren Bahnen, laufen auf vorgespurten Bahnen, ohne wirklich zu überlegen. Wir bemühen uns, möglichst oft den bequemen, gemütlichen Weg zu gehen, den wir bereits kennen. Geben so enorm viel Kreativität preis. Lassen uns nicht darauf ein. Schauen nicht genau hin. Wir bewegen uns auf gleichgültigen Bahnen der Gleichförmigkeit.
Irgendwie hat Picasso einen ganz klaren, präzisen Blick für das Wesentliche. So genau beobachten zu können wie er – und dies dann mit Öl auf die Leinwand zu bringen, das ist wirklich beeindruckend. Eine für mich etwas fremde Welt. Aber so Exkurse (oder Exkursionen) tun im Alltag durchaus gut. Sie machen nachdenklich…
Fotos von Rolf Kuster, Bericht von Daniel Hanselmann